Oberlandesgericht Hamm, Az.: 2 RVs 30/15
Beschluss vom 16.06.2015
Das angefochtene Urteil wird im Rechtsfolgenausspruch – mit Ausnahme der angeordneten Einziehung der sichergestellten Betäubungsmittel – mit den zugrunde liegenden Feststellungen aufgehoben.
Die Sache wird im Umfang der Aufhebung zur erneuten Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafrichter-abteilung des Amtsgerichts Iserlohn zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die Revision als unbegründet verworfen.
G r ü n d e :
I.
Der Angeklagte ist mit Urteil des Amtsgerichts – Strafrichter – Iserlohn vom 22.12.2014 wegen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in zwei Fällen zu einer Gesamtgeldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 10,00 € verurteilt worden. Ferner ist die Einziehung der sichergestellten Betäubungsmittel angeordnet worden.
Nach den Feststellungen des Amtsgerichts Iserlohn befand sich der Angeklagte, der über keine betäubungsmittelrechtliche Erlaubnis verfügt, anlässlich von Polizeikontrollen am 11.04.2014 im Besitz von 0,4 g Marihuana und am 22.04.2014 im Besitz von 0,7 g Marihuana.
Zur Begründung des Rechtsfolgenausspruchs hat das Amtsgericht Iserlohn ausgeführt:
„Bei der Strafzumessung war zugunsten des Angeklagten zu berücksichtigen, dass er nicht vorbestraft ist. Strafmildernd wirkte sich aus, dass er nur im Besitz geringer Mengen von Marihuana war und dass das Rauschgift beschlagnahmt werden konnte.
Strafschärfend war zu berücksichtigen, dass der Angeklagte am 22.04.2014 wiederum im Besitz von Marihuana war, obwohl er nur wenige Tage zuvor bei einer polizeilichen Kontrolle bereits aufgefallen war.
Unter Abwägung der für und gegen den Angeklagten sprechenden Umstände hielt das Gericht für jeden Fall die Verhängung einer Geldstrafe von 20 Tagessätzen zu je 10,00 € für schuldangemessen. Daraus hat das Gericht eine Gesamtgeldstrafe von 30 Tagessätzen zu je 10,00 € gebildet.
Gemäß §§ 33 BtMG, 74 StGB war das beschlagnahmte Marihuana einzuziehen.“
Gegen dieses Urteil richtet sich die auf die Überprüfung des Rechtsfolgenausspruchs beschränkte (Sprung-)Revision des Angeklagten, die mit näheren Ausführungen mit der Verletzung des materiellen Rechts begründet worden ist.
Die Generalstaatsanwaltschaft hat mit Zuschrift vom 21.05.2015 beantragt, wie erkannt.
II.
Die form- und fristgerecht eingelegte und auch im Übrigen zulässige(Sprung-)Revision des Angeklagten hat in der Sache im tenorierten Umfang– zumindest vorläufigen – Erfolg.
Das angefochtene Urteil hält im Strafausspruch in materiell-rechtlicher Hinsicht einer rechtlichen Überprüfung nicht stand.
Zwar ist die Strafzumessung grundsätzlich Aufgabe des Tatrichters. Sie unterliegt nur in begrenztem Umfang der revisionsrechtlichen Überprüfung. Ein Eingriff des Revisionsgerichts ist nur möglich, wenn die Strafzumessungserwägungen in sich fehlerhaft sind, das Tatgericht gegen rechtlich anerkannte Strafzwecke verstößt oder sich die verhängte Strafe nach oben oder unten von ihrer Bestimmung löst, ein gerechter Schuldausgleich zu sein (vgl. BGH, NJW 2000, 3010, 3013; BGHSt 34, 345; OLG Hamm, Beschluss vom 28.12.2011 – III-2 RVs 45/11). Aus dem verfassungsrechtlich gesicherten Schuldprinzip, das seine Grundlage in Art. 1 Abs. 1 GG findet, und aus dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit, der aus dem Rechtsstaatsprinzip und den Freiheitsrechten abzuleiten ist, folgt für den Bereich des staatlichen Strafens, dass die Schwere einer Straftat und das Verschulden des Täters zu der Strafe in einem gerechten Verhältnis stehen müssen (vgl. BVerfG, NJW 1995, 1577). Die verhängte Strafe darf die Schuld des Täters nicht übersteigen. Insoweit deckt sich der Grundsatz des schuldangemessenen Strafens in seinen die Strafe begrenzenden Auswirkungen mit dem Übermaßverbot (vgl. BVerfGE 45, 187; BVerfG, NJW 1992, 2947; NJW 2002, 1779).
Das angefochtene Urteil ist im Strafausspruch rechtsfehlerhaft, da dem Senat anhand der insoweit lückenhaften Strafzumessungserwägungen die Prüfung nicht möglich ist, ob das Berufungsgericht ermessensfehlerfrei von der Möglichkeit eines Absehens von Strafe gemäß § 29 Abs. 5 BtMG keinen Gebrauch gemacht hat. Das Amtsgericht hat die Voraussetzungen und Rechtsfolgen dieser Vorschrift nicht erörtert.
Bei dem Marihuana, welches nach den Feststellungen des Landgerichts Hagen am jeweiligen Tattag im Besitz des Angeklagten vorgefunden wurde, handelt es sich in beiden Fällen um eine sehr kleine Menge, die – nach den getroffenen Feststellungen naheliegend – zum Eigenkonsum des Angeklagten bestimmt war. Sie stellt eine „geringe Menge“ i.S.d. § 29 Abs. 5 BtMG dar.
Als eine „geringe Menge“ im Sinne der vorgenannten Gesetzesbestimmung ist eine Menge anzusehen, die zum einmaligen bis höchstens dreimaligen Gebrauch geeignet ist (vgl. Weber, BtMG, 3. Aufl., § 29 Rdnr. 1801). Bei Cannabis wird die durchschnittliche Konsumeinheit mit 15 mg THC angesetzt, so dass der Grenzwert für die „geringe“ Menge i.S.d. § 29 Abs. 5 BtMG 45 mg (= 0,045 g) THC beträgt. Wird der Wirkstoffgehalt – wie vorliegend – nicht festgestellt, wird zum Teil in der obergerichtlichen Rechtsprechung und in der Literatur ein Cannabisgemisch mit einer Gewichtsmenge von bis zu 6 Gramm als „geringe Menge“ i.S.d. § 29 Abs. 5 StGB angesehen, weil sich unter Annahme einer äußerst schlechten Konzentration von 0,8 % aus 6 g Haschisch noch drei Konsumeinheiten gewinnen lassen (vgl. Weber, a.a.O., § 29 Rdnr. 1811 u. 1812 m.w.N.; Körner, BtMG, 7. Aufl., § 29 Teil 28 Rdnr. 39 m.w.N.; OLG Oldenburg, Beschluss vom 21.10.2008 – Ss 355/08 -; BeckRS 2008, 22472). Stellt man auf die Richtlinien zur Anwendung des § 31 a Abs. 1 BtMG gemäß dem Runderlass des Justizministeriums und des Ministeriums für Inneres und Kommunales vom 19.05.2011 – JMBL. NRW S. 106 – ab, so ist von einer geringe Menge zum Eigenverbrauch gemäß Ziffer II. 1. der Richtlinien bei Cannabisprodukten bis zu einer Gewichtsmenge von 10 g auszugehen.
Die Marihuanazubereitungen mit einem Nettogewicht von 0,4 g bzw. 0,7 g, die bei dem Angeklagten vorgefunden worden sind, lagen daher erheblich unter den vorgenannten Grenzmengen für Cannabisprodukte von 6 g bzw. 10 g. Das Amtsgericht hat sich dennoch nicht erkennbar mit der Anwendung der Vorschrift des § 29 Abs. 5 BtMG, bei der es sich um eine Ausgestaltung des verfassungsrechtlichen Übermaßverbotes handelt (vgl. Körner, a.a.O., § 29 Randziffer 3 m.w.N.), befasst. Hierzu hätte vorliegend jedoch insbesondere auch deshalb Anlass bestanden, weil der Angeklagte nach den Feststellungen des Amtsgerichts nicht vorbestraft ist und über den festgestellten strafbaren Betäubungsmittelbesitz hinausgehend konkrete Anhaltspunkte für eine etwaige Fremdgefährdung – etwa durch die nahe liegende Möglichkeit der Abgabe von Betäubungsmitteln an Dritte oder durch Beschaffungskriminalität – nicht ersichtlich sind. Entgegenstehende Feststellungen sind zumindest nicht getroffen. Auch ist nach den Feststellungen des Amtsgerichts nichts dafür ersichtlich, dass es sich bei dem Angeklagten um einen Dauerkonsumenten handelt. Allein die Feststellung des unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in zwei Fällen reicht für eine solche Annahme nicht aus.
Das angefochtene Urteil war daher im Rechtsfolgenausspruch hinsichtlich des Strafausspruchs mit den insoweit getroffenen Feststellungen aufzuheben und die Sache gemäß § 354 Abs. 2 S. 1 StPO zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an eine andere Strafrichterabteilung des Amtsgerichts Iserlohn zurückzuverweisen.
Im Übrigen – insbesondere mit Blick auf die angeordnete Einziehung der sichergestellten Betäubungsmittel gemäß §§ 33 BtMG, 74 StGB – hat die Nachprüfung des Urteils im Rechtsfolgenausspruch aufgrund der Revisionsrechtfertigung keinen Rechtsfehler zum Nachteil des Angeklagten ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO).
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