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Schadensminderungspflicht bei Unfallfahrzeugveräußerung zum ausgewiesenen Restwert

LG Oldenburg, Az.: 5 S 225/15, Urteil vom 13.01.2016

1. Auf die Berufung der Klägerin wird das am 16.04.2015 verkündete Urteil des Amtsgerichts Westerstede (22 C 894/14) wie folgt abgeändert:

Die Klage wird abgewiesen.

2. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.

4. Die Revision wird zugelassen.

5. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 3.740,29 Euro festgesetzt.

Gründe

I.

Von der Wiedergabe der tatsächlichen Feststellungen des Amtsgerichts und der Darstellung etwaiger Änderungen und Ergänzungen wird abgesehen (§ 540 Abs. 1 Nr. 1, Abs. 2, § 313 a Abs. 1 S. 1 ZPO).

II.

1 Die Berufung ist zulässig und begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf Zahlung von 3.740,29 Euro.

Soweit der Klägerin gegen die Beklagte aus dem Verkehrsunfall vom 01.08.2014 ein Schadensersatzanspruch nach §§ 7 Abs. 1 StVG, 115 Abs. 1 Nr. 1 VVG in Höhe von 6.220,- Euro zustand, ist dieser unstreitig bereits vor Klageerhebung erfüllt worden.

Der von der Klägerin darüber hinaus geltend gemachte Schadensersatz (fiktiver Reparaturkosten) steht ihr nicht zu. Denn indem sie am 29.08.2014 das in Rede stehende Fahrzeug für 4.000,- Euro veräußerte, bevor sie der Beklagten Gelegenheit zu einer besseren Verwertung gegeben hatte, hat die Klägerin gegen ihre Pflicht zur Schadensminderung nach § 254 Abs. 2 S. 1 BGB verstoßen.

Zwar ist im Grundsatz davon auszugehen, dass der Geschädigte dem Gebot zur Wirtschaftlichkeit nachkommt – und folglich nicht gegen § 254 Abs. 2 S. 1 BGB verstößt – wenn er das Unfallfahrzeug auf der Grundlage eines von ihm eingeholten Sachverständigengutachtens und des darin ausgewiesenen Restwertes verkauft oder in Zahlung gibt (BGH NJW 2005, 3134; 2010, 2722), was die Klägerin im vorliegenden Fall auch getan hat. Der Schädiger kann den Geschädigten (hier die Klägerin) deshalb insbesondere nicht auf einen höheren Restwerterlös verweisen, den dieser auf einem Sondermarkt durch spezialisierte Restwertaufkäufer erzielen könnte. Weist der Schädiger dem Geschädigten jedoch eine ohne weiteres zugängliche günstigere Verwertungsmöglichkeit nach, ist der Geschädigte im Interesse der Geringhaltung des Schadens grundsätzlich verpflichtet, davon Gebrauch zu machen (BGH, aaO).

Vorliegend konnte das Angebot der Beklagten nicht mehr berücksichtigt werden, weil das Fahrzeug bereits verkauft war, als das Gutachten bei ihr einging. Es kommt daher darauf an, ob die geschädigte Klägerin dem Schädiger bzw. der beklagten Versicherung die Möglichkeit einräumen musste, ein höheres Restwertangebot abzugeben.

In der Rechtsprechung ist teilweise die Auffassung vertreten worden, der Restwert unterliege allein der Vermögens- und Verfügungssphäre des Geschädigten; dieser sei nicht gehalten, dem Haftpflichtversicherer des Schädigers Gelegenheit zur Abgabe eines höheren Restwertangebots zu geben (OLG Hamm, Urt. vom 11.11.2015 – 11 U 13/15; Hinweise des OLG Köln 3. ZS – 3 U 46/15; LG Rottweil, Urteil vom 05. Juni 1991-1 S 43/91 -, juris).

Eine solche Auffassung trägt nach Ansicht der Kammer den berechtigten Interessen des Schädigers bzw. dessen Versicherung jedoch nicht ausreichend Rechnung. Denn nach dem gesetzlichen Bild des Schadensersatzes ist zwar der Geschädigte Herr des Restitutionsgeschehens, so dass ihm bei der Schadensbehebung die von der Versicherung gewünschten Verwertungsmodalitäten nicht aufgezwungen werden dürfen (BGH, aaO). Anderseits dürfen auch die Interessen des Schädigers nicht außer Acht gelassen werden. Unter diesem Blickpunkt kann der Geschädigte gehalten sein, von einer grundsätzlich zulässigen Verwertung des Unfallfahrzeugs Abstand zu nehmen und im Rahmen des Zumutbaren andere sich ihm darbietende Verwertungsmöglichkeiten zu ergreifen (BGH, aaO).

Schadensminderungspflicht bei Unfallfahrzeugveräußerung zum ausgewiesenen Restwert
Symbolfoto: FreedomTumZ/Bigstock

Eine Berücksichtigung der wirtschaftlichen Interessen des Schädigers setzt aber voraus, dass dieser die vom Geschädigten vorgesehen Verwertung kennt. Der Geschädigte verletzt die ihm obliegende Schadenminderungspflicht daher, wenn er das Unfallfahrzeug veräußert, ohne zuvor dem Schädiger oder dessen Kfz-Haftpflichtversicherung Gelegenheit zu geben, eine günstigere Verwertung als im Gutachten vorgesehenen vorzunehmen (OLG Oldenburg, RuS 1991, 128; OLGR Hamm 1992, 245-247; OLG Köln, Beschluss vom 16. Juli 2012 – I-13 U 80/12, 13 U 80/12 -, juris = DAR 13, 32). Das gilt jedenfalls dann, wenn der Geschädigte kein berechtigtes Interesse an einer sofortigen Verwertung hat. Dem Schädiger (bzw. dessen Versicherung) ist dann nicht zuzumuten, in jedem Falle die Ergebnisse des vom Geschädigten eingeholten Privatgutachtens hinzunehmen.

Die Kammer hält die Argumente des OLG Hamm (aaO.) und des 3. ZS des OLG Köln (aaO.) für nicht überzeugend. Damit läuft vielmehr die Rechtsprechung des BGH, dass ein Geschädigter ein zumutbares Angebot einer besseren Verwertung akzeptieren muss, ins Leere. Wenn er den Unfallwagen nämlich ohne Grund und dazu noch zu einem Zeitpunkt veräußert, in dem der Schädiger und seine Versicherung das Gutachten nicht einmal kennen, unterläuft er jede Möglichkeit, eine Schadensminderung herbeizuführen. Gerade die Sachverhalte des OLG Hamm und der hier vorliegende zeigen, dass die fehlende Möglichkeit, den Schaden zu mindern, den Schaden der nicht unerheblichen Position „Restwert“ nahezu verdoppelt. Damit soll dann die Versichertengemeinschaft belastet werden.

Demnach durfte die Klägerin das Fahrzeug nur dann sofort veräußern, ohne der Beklagten Gelegenheit zur Abgabe eines ergänzenden Angebots zu geben, wenn sie (die Klägerin) ein berechtigtes Interesse an der sofortigen Veräußerung hatte. Ein solches ist aber nicht vorgetragen worden. Auf Nachfrage der Kammer vom 05.11.2015, welches die Gründe für die schnelle Veräußerung des Unfallwagens waren, wenn das Ersatzfahrzeug tatsächlich erst drei Monate später angeschafft wurde, hat die Klägerin lediglich angegeben, das neue Fahrzeug habe erst bestellt werden müssen und eine entsprechende Lieferzeit gehabt. Ein vernünftiger Grund, das Fahrzeug sofort zu veräußern, ohne der Versicherung Gelegenheit zur Abgabe eines besseren Angebots zu geben, ergibt sich daraus nicht. Sofern die Klägerin mit Schriftsatz vom 21.12.2015 zu den Gründen der sofortigen Veräußerung ergänzend vorgetragen hat, genügt das nicht, ein Interesse an der sofortigen Veräußerung zu belegen.

Die Klägerin hat nämlich durch den Kauf eines neuen Fahrzeugs und die Inzahlungnahme des Unfallfahrzeugs einen Kaufvertrag mit Ersetzungsbefugnis abgeschlossen.

Dazu hat der BGH ausgeführt (BGHZ 46, 338):

„Das Interesse des Kraftfahrzeughändlers ist – dem Erwerber erkennbar – auf Veräußerung gegen Geld gerichtet und nicht auf den Erwerb eines gebrauchten Wagens. Er läßt sich auf die Hereinnahme des Altwagens nur ein, um das von ihm erstrebte Geschäft abschließen zu können. Dieses Entgegenkommen des Veräußerers, das seinem Partner den Erwerb des Neuwagens erleichtert, unter Umständen sogar erst möglich macht, hat aber, wie das Berufungsgericht richtig gesehen hat, nicht zur Folge, daß die Beteiligten sich auf eine Gegenleistung des Erwerbers einigen, die zum Teil in Geld, zum Teil in der Hingabe eines gebrauchten Fahrzeugs bestehen soll. Vielmehr bleibt, wenn, wie hier, für etwas Abweichendes keine Anhaltspunkte gegeben sind, die vom Erwerber des Neuwagens geschuldete Gegenleistung in voller Höhe eine Geldschuld. Es liegt deshalb bei solcher Fallgestaltung regelmäßig ein Kaufvertrag vor. Jedoch hat der Erwerber kraft der Parteivereinbarungen die Möglichkeit, anstelle der ausbedungenen Geldschuld zum Zwecke der Erfüllung seinen gebrauchten Wagen in Zahlung zu geben. Mit dieser sogenannten Ersetzungsbefugnis des Käufers (vgl. BGH Urteil vom 20. Mai 1960 – I ZR 93/59 = LM UWG § 1 Nr. 95 … ist – jedenfalls für den Regelfall – den Interessen beider Beteiligten ausreichend genügt. Ein Bedürfnis, den Anspruch des Veräußerers teilweise auf eine Forderung auf Hingabe eines gebrauchten Kraftfahrzeugs zu beschränken, ist nicht ersichtlich. Da die Ersetzungsbefugnis des Käufers den Bestand der Hauptschuld als einer Geldschuld unberührt läßt, würde ein vom Käufer nicht zu vertretender Untergang des Altwagens ihn nicht nach § 323 Abs. t BGB davon befreien, den Kaufpreis in voller Höhe in Geld zu entrichten (Soergel/Siebert, BGB 9. Aufl. § 265 Anm. 3). Umgekehrt würde der Verkäufer, wenn der Käufer seine Schuld in Geld tilgen wollte, das nicht zurückweisen und statt dessen die Hingabe des gebrauchten Wagens verlangen können.“

Der Klägerin war es also unbenommen, den Unfallwagen anderweitig zu veräußern und die fehlenden 4.000 € als Geldverbindlichkeit zu erfüllen. Ihr Interesse an der günstigen Finanzierung konnte damit voll entsprochen werden.

Die Klägerin hat nicht vorgetragen, dass der Neukauf von auch nur einer Seite davon abhängig war, dass die Klägerin den Unfallwagen in Zahlung gibt. Der Bestätigung des Verkäufers vom 17.12.2015 ist auch nur zu entnehmen, dass die Finanzierung/Ablösung vor dem 31.08.2014 geregelt gewesen sein musste.

Hätte die Klägerin der Beklagten die Gelegenheit einer besseren Verwertung eingeräumt, wäre das Fahrzeug für das von der Beklagten am 05.09.2014 vorgelegte Restwertangebot von 7.770,- Euro zu verwerten gewesen. Dieser Betrag ist von dem im Gutachten des von der Klägerin beauftragten Sachverständigen O. vom 29.08.2014 angegebenen Wiederbeschaffungswert von 13.990,- Euro abzuziehen, so dass ein Wiederbeschaffungsaufwand von 6.220,- Euro verbleibt, der von der Beklagten bereits ersetzt worden ist.

Nach alledem hat die Klägerin auch keinen Anspruch auf die geltend gemachten Nebenforderungen.

2. Die Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91 Abs. 1, 708 Nr. 10, 713 ZPO.

3. Die Revision wird zugelassen, da die Oberlandesgericht Hamm und Köln die auch hier gegebene Interessenlage rechtlich unterschiedlich bewerten.

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