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Verkehrsunfall – Beweisangebot bei behaupteter HWS-Verletzung

AG Hamburg-St. Georg, Az.: 920 C 339/14, Urteil vom 17.07.2015

1. Die Klage wird abgewiesen.

2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.

3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger kann die Vollstreckung der Beklagten durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110 % des zu vollstreckenden Betrags leistet.

Tatbestand

Verkehrsunfall - Beweisangebot bei behaupteter HWS-Verletzung
Symbolfoto: Von Moobin /Shutterstock.com

Der Kläger begehrt restlichen Schadensersatz und Schmerzensgeld aus eigenem und übergegangenem Recht aufgrund eines Verkehrsunfalls, der sich am 23.12.2013 gegen 20.15 Uhr in Hamburg in der Straße … ereignet hat.

Der bei der Beklagten haftpflichtversicherte Lkw mit dem Kennzeichen … hatte das Firmengelände der Fa…, beladen mit Kupfer, verlassen und verlor auf dem … Teil seiner Ladung. Dabei handelte es sich um schwere massive Kupferblöcke, die eine Abmessung von ca. 20-30 cm Höhe und 30-40 cm Breite auswiesen. Der Kläger fuhr mit seinem Pkw VW Passat Variant, mit dem amtlichen Kennzeichen…, auf/über einen zuvor vom Lkw verlorenen Kupferblock. Beifahrerin zum Unfallzeitpunkt war seine Ehefrau, die Zeugin …. Am Fahrzeug des Klägers entstand erhebliche Sachschaden. Er ließ sein Fahrzeug von der Gutachtenzentrale Hamburg besichtigen. Dort wurde am 9.1.2014 ein Schadensgutachten erstellt. Kalkuliert wurden Nettoreparaturkosten in Höhe von EUR 6.643,61 (brutto EUR 7.924,23). Der Wiederbeschaffungswert wird in dem Gutachten mit EUR 10.150,40 angegeben, der Restwert mit EUR 4.750,00. Die Beklagte zahlte hinsichtlich der Reparaturkosten an den Kläger EUR 5.406,25. Restliche Reparaturkosten in Höhe von EUR 1.237,36 werden u.a. mit der Klage geltend gemacht. Auf die ebenfalls geltend gemachte Kostenpauschale in Höhe von EUR 25,00 zahlte die Beklagte EUR 20,00. Weitere EUR 5,00 sind ebenfalls Gegenstand der Klage.

Der Kläger sowie die Zeugin … suchten am 15.1.2015 den Facharzt für Orthopädie, Herrn … auf. Dieser erstellte zwei Atteste für den Kläger und die Zeugin … . Hinsichtlich des Klägers ist in dem Attest ausgeführt, dass er unter einer HWS-Distorsion und einer Kopfprellung leide. Ferner heißt es „Herr … leidet aufgrund eines Autounfalls vom 23.12.2013 an den o.g. gesundheitlichen Schäden. Bei noch bestehenden Beschwerden ist eine weitere Behandlung erforderlich“. Hinsichtlich der Zeugin … ist festgehalten, dass sie unter einer HWS-Distorsion leide. Ferner ist ausgeführt: „Frau … leidet an Nacken-Schulterschmerzen aufgrund eines Autounfalls (23.12.2013). Bei noch bestehenden Beschwerden ist Therapie noch nicht abgeschlossen.“ Dem Kläger entstanden Attestkosten in Höhe von EUR 15,00, die ebenfalls mit der Klage geltend gemacht werden. Ferner begehrt der Kläger für sich ein Schmerzensgeld in Höhe von EUR 700,00. Die Zeugin … hat ihre Ansprüche auf Schmerzensgeld an den Kläger abgetreten. Hier werden mit der Klage weitere EUR 700,00 sowie allgemeine Auslagenpauschale in Höhe von EUR 25,00 begehrt.

Der Kläger trägt vor, ein wirtschaftlicher Totalschaden liege nicht vor. Er sei daher berechtigt, auf Gutachtenbasis abzurechnen. Er habe sein Fahrzeug zwar verkauft, dies sei jedoch erst im Juli/August 2014 geschehen. Er habe nicht damit rechnen müssen, dass Kupferblöcke auf der Straße liegen würden. Bei der von ihm angepassten Geschwindigkeit sei der Aufprall nicht vermeidbar gewesen. Die Kupferblöcke seien in keiner Weise kenntlich gemacht gewesen. Eine Lichtquelle oder auf der Straße abgestellte Warnkennzeichen seien nicht vorhanden gewesen. Auch habe ein wirtschaftlicher Totalschaden nicht vorgelegen. Entsprechend seien auch die Kosten der Achsvermessung zu erstatten.

Er und seine Ehefrau seien bei dem Verkehrsunfall verletzt worden. Er habe eine HWS-Distorsion und eine Kopfprellung erlitten. Bei seiner Ehefrau sei eine HWS-Distorsion ärztlich festgestellt en. Die fachärztlich festgestellten Verletzungen passten ohne weiteres zu dem Unfallereignis. Durch die Wucht des Aufpralls sei er mit seinem Kopf gegen das Kfz-Dach gestoßen, so er eine Kopfprellung davon getragen habe. Im Übrigen sei die HWS-Distorsion bei ihm und seiner Ehefrau durch den ruckartigen Aufprall ohne weiteres kausal (Zeugnis des Facharztes für Orthopädie …). Er sowie seine Ehefrau seien zum Zeitpunkt des Unfallereignisses angeschnallt gewesen.

Der Kläger beantragt, die Beklagten zu verurteilen, an den Kläger EUR 2.742,36 nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 19.6.2014 zu zahlen.

Die Beklagte beantragt, die Klage abzuweisen.

Sie trägt vor, weiterer Schadensersatz steht dem Kläger nicht zu. Der reine Fahrzeugschaden sogar überzahlt. Fiktive Reparaturkosten könne der Kläger vorliegend nicht für sich reklamieren. Er habe nicht nachgewiesen, dass das Fahrzeug auch noch 6 Monate nach dem Unfallereignis von ihm gehalten worden sei. Die Kosten der Achsvermessung seien bei dem vorliegenden Totalschaden nicht erstattungsfähig. Insgesamt sei lediglich die Differenz zwischen dem Wiederbeschaffungswert und dem kalkulierten Restwert zu erstatten. Dies seien EUR 5.440,00. Gezahlt en seien aber bereits EUR 5.406,25. Es werde bestritten, dass der Kläger und seine Ehefrau bei dem Verkehrsunfall verletzt worden seien. Im Übrigen habe der Kläger gegen das Sichtfahrgebot verstoßen. Der Unfall sei für ihn nicht unvermeidbar gewesen. Jedenfalls trete die Betriebsgefahr seines Fahrzeugs nicht vollständig zurück. Auszugehen sei daher von einer Haftungsquote lediglich 70%.

Das Gericht hat Beweis erhoben durch Vernehmung der Zeugin … über den Hergang des Verkehrsunfalls vom 23.12.2013, sowie über die behaupteten unfallbedingten Verletzungen. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme wird auf das Sitzungsprotokoll vom 20.5.2015 (Bl. 76 der Akte) verwiesen.

Entscheidungsgründe

Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.

Der Kläger hat keinen Anspruch auf weiteren Schadensersatz und Schmerzensgeld aus §§ 17, 18 Abs. 3 StVG, 253, 823 BGB, 115 VVG aus eigenem oder abgetretenem Recht (§ 398 BGB).

I. Fahrzeugschaden

Unabhängig von der Frage, ob dem Kläger vorliegend ein Verursachungsbeitrag wegen des Verstoßes gegen das Sichtfahrgebot aus § 3 StVO anzulasten ist und schon deshalb die Betriebsgefahr des von ihm gefahrenen Fahrzeugs nicht vollständig zurücktritt, stehen dem Kläger weitere Schadensersatzansprüche wegen Beschädigung seines Fahrzeugs nicht zu. Der Kläger kann nicht auf Gutachtenbasis abrechnen. Vorliegend handelt es sich um einen wirtschaftlichen Totalschaden, da die kalkulierten Reparaturkosten die Differenz zwischen Wiederbeschaffungswert und kalkuliertem Restwert die Reparaturkosten bei weitem übersteigen. Eine Berücksichtigung de fiktiven Reparaturkosten bis zur Höhe des Wiederbeschaffungswerts scheidet vorliegend aus. Der Kläger hat nicht nachgewiesen, dass er sein repariertes Fahrzeug wenigstens 6 Monate weiter genutzt hat (BGH NJW 2006, 2179), so dass der Restwert seines Fahrzeugs zu berücksichtigen und der Anspruch auf Reparaturkosten auf den Wiederbeschaffungsaufwand (Wiederbeschaffungswert abzüglich Restwert) beschränkt ist. Seine Behauptung in der mündlichen Verhandlung, er habe das Fahrzeug veräußert, jedoch erst im Juli/August 2014, wurde von der Beklagten bestritten. Entgegen seiner Ankündigung hat der Kläger einen entsprechenden Kaufvertrag nicht vorgelegt, so dass er beweisfällig geblieben ist. Der Urkundenbeweis wird durch Vorlage der Urkunde geführt (§ 420 ZPO).

II. Schmerzensgeld und Attestkosten

Der Kläger kann den Nachweis, dass er und seine Ehefrau bei dem streitgegenständlichen Verkehrsunfall eine HWS-Distorsion bzw. eine Kopfprellung erlitten haben, nicht führen. Dem vollen Umfangs beweisbelasteten Kläger gelingt es nicht, den Strengbeweis für die Unfallursächlichkeit der von ihm und der Zeugin … geschilderten Beschwerden zu führen. Nach § 286 Abs. 1 ZPO ist ein Beweis erst dann erbracht, wenn das Gericht unter Berücksichtigung des gesamten Inhalts der Verhandlungen und dem Ergebnis einer Beweisaufnahme von der Richtigkeit einer Tatsachenbehauptung überzeugt ist. Die in § 286 Abs. 1 genannte Überzeugung erfordert zwar absolute Gewissheit und auch keine an Sicherheit grenzende Wahrscheinlichkeit, es reicht ein für das praktische Leben brauchbarer Grad an Gewissheit aus, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen. Dieses Beweismaß kann vorliegend nicht erreicht werden. Auch wenn der Kläger und die Zeugin … ihre Beschwerden und Beeinträchtigungen nachvollziehbar geschildert haben, reicht dies allein zur Beweisführung nicht aus. Ihren Äußerungen kommt aufgrund des erheblichen Eigeninteresses am Ausgang des Rechtsstreits nur geringer Beweiswert zu. Ihre Angaben werden zudem nicht durch zeitnah erhobene ärztliche Befunde unterstützt.

Dem Beweisangebot des Klägers (Einholung eines Sachverständigengutachtens) war nicht nachzukommen. Dem Gericht ist aus den in zahlreichen Verfahren vorgelegten bzw. eingeholten Zusammenhangsgutachten bekannt, dass die Möglichkeit einer Verletzung maßgeblich von der Insassenbelastung abhängt, die wiederum hauptsächlich durch die Geschwindigkeitsänderung beeinflusst wird, welche das Fahrzeug durch den Aufprall erfährt. Die Verletzungsmöglichkeit ist umso geringer, je geringer diese Geschwindigkeitsänderung ist. Vorliegend fehlt es bereits an gesicherten Anknüpfungstatsachen, die einen Sachverständigen in die Lage versetzen könnten, Geschwindigkeitsänderungen zu ermitteln. Unfallspuren sind ersichtlich nicht gesichert worden. Konkrete Angaben zu dem Fahrverhalten des Klägers unmittelbar vor der Kollision liegen ebenfalls glicht vor. Ob im Hinblick auf den Unfallhergang von den Beschädigungen am Fahrzeug des Klägers auf die Insassenbelastung geschlossen werden kann, erscheint ebenfalls fraglich. Wesentlich ist aber, dass vorliegend zeitnah zum Unfallereignis aussagekräftige ärztliche Befunde erhoben worden sind. Der Kläger und seine Ehefrau haben erst mehr als 3 Wochen nach Verkehrsunfall einen Arzt aufgesucht. Ob dabei objektive Befunde erhoben worden sind, ist dem ärztlichen Attest nicht zu entnehmen. Die Nennung der Diagnosen in einem erheblichen zeitlichen Abstand von mehr als 3 Wochen zum Unfallereignis ist nicht aussagekräftig, da unfallspezifische Veränderungen nicht beschrieben werden. Auch zum Ergebnis einer evtl. durchgeführten Röntgenuntersuchung ist seitens des Klägers nicht vorgetragen worden. Da zeitnah zum Unfallereignis aussagekräftige Befunde nicht vorliegen und auch aus der Zeit vor dem Unfallereignis keine Angaben zum Funktionszustand der Halswirbelsäulen bekannt sind, fehlt es an ausreichenden Anknüpfungstatsachen für eine sachverständige ärztliche Beurteilung.

Auch der behandelnde Arzt des Klägers und der Zeugin war nicht als Zeuge zu hören. Der Zeugenbeweis ist nur geeignet, das Vorhandensein einer Verletzung oder einer körperlichen Beeinträchtigung zu beweisen. Er ist aber nach ständiger Rechtsprechung der Hamburger Verkehrszivilgerichte ungeeignet zum Beweis des ursächlichen Zusammenhangs zwischen einem Unfall und den festgestellten Beeinträchtigungen. Dies liegt insbesondere hier auf der Hand, da der erste Arztbesuch mehr als 3 Wochen nach dem Verkehrsunfall stattgefunden hat.

Nach allem kann der Kläger den Nachweis unfallbedingter Verletzungen nicht führen. Daher kann er auch Ersatz der Attestkosten nicht verlangen.

III.

Die prozessualen Nebenentscheidungen beruhen auf §§ 91, 708 Ziffer 11,711 ZPO.

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