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Verkehrsunfall – Kreuzungsunfall mit Gegenverkehr bei unklarer Verkehrslage

Oberlandesgericht Schleswig, Az.: 7 U 53/15, Urteil vom 17.12.2015

Die Berufung der Klägerin gegen das am 13.03.2015 verkündete Urteil des Einzelrichters der 17. Zivilkammer des Landgerichts Kiel wird auf ihre Kosten zurückgewiesen.

Das Urteil sowie das angefochtene Urteil sind vorläufig vollstreckbar.

Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 7.067,00 € festgesetzt.

Gründe

I.

Die Klägerin nimmt die Beklagten nach einem Verkehrsunfall auf Schadensersatz in Anspruch.

Verkehrsunfall - Kreuzungsunfall mit Gegenverkehr bei unklarer Verkehrslage
Symbolfoto: Von mrivserg /Shutterstock.com

Am 17. Januar 2014 befuhr der Geschäftsführer der Klägerin gegen 16:20 Uhr mit deren Pkw Audi A6 Avant (amtl. Kennzeichen x) die B203 von Eckernförde kommend in Richtung Kappeln. In Gegenrichtung fuhr Walter H. mit dem Pkw Opel Astra (amtl. Kennzeichen y), der bei der Beklagten zu 2) haftpflichtversichert war. Herr H. (im Folgenden: „Erblasser“) ist am 3. Juni 2015 verstorben und wurde von der Beklagten zu 1) beerbt. Der Erblasser wollte von der auf der B203 befindlichen Linksabbiegerspur nach links in die die B 203 kreuzende Ostlandstraße einbiegen. Im Kreuzungsbereich Ostlandstraße/B203 kam es zum Zusammenstoß.

Die Klägerin hat behauptet, der Erblasser habe beim Abbiegen nach links den vorfahrtsberechtigten Geschäftsführer der Klägerin übersehen. Sie hat von den Beklagten folgende Schadenspositionen verlangt:

  • Selbstbeteiligung Kaskoversicherung 500 €
  • Gutachterkosten (vgl. Anlage K4) 894,24 €
  • Wertminderung 4.500 €
  • Mietwagenkosten (vgl. Anlage K5) 765 €
  • Kostenpauschale 20 €

Darüber hinaus hat sie die Feststellung verlangt, dass die Beklagten verpflichtet sind, ihm den Rückstufungsschaden seiner Vollkaskoversicherung zu ersetzen, ebenso entstandene vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten.

Das Landgericht hat nach der Vernehmung von Zeugen und der Anhörung des Erblassers die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass der Unfall allein durch das grob verkehrswidrige Verhalten des Geschäftsführers der Klägerin verursacht worden sei. Wegen der Einzelheiten wird auf die angefochtene Entscheidung Bezug genommen.

Gegen das Urteil wendet sich die Klägerin mit der Berufung und verfolgt ihre erstinstanzlichen Klagbegehren weiter. Zur Begründung führt sie im Wesentlichen aus, aufgrund des Gebots der Waffengleichheit sei es angezeigt gewesen, auch den Geschäftsführer der Klägerin zum Unfallhergang zu hören. Ein hierdurch notwendiger weiterer Termin hätte den Rechtsstreit nicht verzögert, da auch ein Zeuge unentschuldigt nicht zum Verhandlungstermin erschienen sei. Das Gericht hätte darauf hinweisen müssen, dass es den Rechtsstreit als entscheidungsreif erachte. Es sei nicht nachvollziehbar, weshalb dem Geschäftsführer der Klägerin eine überhöhte Geschwindigkeit zur Last gelegt werde, da im Bereich der Unfallörtlichkeit eine Geschwindigkeitsbegrenzung von 70 km/h gelte. Das Landgericht habe verkannt, dass gegen die Beklagten ein Anschein aus §§ 8, 9 Abs. 3 StVO streite. Die Zeugin G. habe ausgesagt, dass die Lichtzeichenanlage für den Geschäftsführer der Klägerin gerade auf Grün gewechselt sei. Dieser sei damit vorfahrtsberechtigt gewesen.

Die Beklagten verteidigen das angefochtene Urteil.

II.

Die Berufung der Klägerin hat keinen Erfolg, denn die Klägerin haftet für den Verkehrsunfall allein.

Im Rahmen der bei dem Unfall zweier Kraftfahrzeuge im Straßenverkehr vorzunehmenden Abwägung gemäß § 17 Absatz 1 StVG ist auf die Umstände des Einzelfalles abzustellen, insbesondere darauf, inwieweit der Schaden vorwiegend von dem einen oder anderen Teil verursacht worden ist. Bei der Abwägung der Verursachungs- und Verschuldensanteile der Fahrer der beteiligten Fahrzeuge sind unter Berücksichtigung der von beiden Fahrzeugen ausgehenden Betriebsgefahr nur unstreitige bzw. zugestandene und bewiesene Umstände zu berücksichtigen. Jeder Halter hat dabei die Umstände zu beweisen, die dem anderen zum Verschulden gereichen und aus denen er für die nach § 17 Absatz 1 u. 2 StVG vorzunehmende Abwägung für sich günstige Rechtsfolgen herleiten will (BGH NZV 1996, S. 231). Das Zurücktreten eines Verursachungsbeitrags setzt in der Regel eine nicht erheblich ins Gewicht fallende mitursächliche Betriebsgefahr auf der einen Seite und ein grobes Verschulden auf der anderen Seite voraus (vgl. Hentschel/König/Dauer, Straßenverkehrsrecht, 42. Aufl., StVG, § 17, Rn. 16).

Der Geschäftsführer der Klägerin hat nach dem Ergebnis der erstinstanzlichen Beweisaufnahme gleich zwei grobe Verkehrsverstöße begangen:

Er hat zum einen dadurch gegen § 5 Abs. 2 und 3 StVO verstoßen, dass er im Kreuzungsbereich überholte, obwohl die unklare Verkehrslage dies nicht zuließ. Denn er hat trotz beabsichtigter Geradeausfahrt die auf seiner Spur (Geradeaus- und Rechtsabbiegespur) vor ihm befindlichen Rechtsabbieger dadurch zu überholen versucht, dass er die Linksabbiegerspur nutzte, auf der sich ebenfalls mindestens ein Fahrzeug (VW-Bus) befand, das nach links in die Ostlandstraße abbiegen wollte (Angaben der Zeugen G.). Der Geschäftsführer der Klägerin wollte mithin durch die Lücke zwischen den Rechts- und Linksabbiegern geradeaus durchfahren, wobei er aber die Linksabbiegespur mitnutzen musste, um die vor ihm befindlichen Rechtsabbieger zu überholen. Dies stellt angesichts der örtlichen Verhältnisse am Unfallort unter solchen Umständen, wie sie hier vorlagen, ein unzulässiges und grob verkehrswidriges Verhalten dar, weil mindestens eine unklare Verkehrslage vorlag.

Zum anderen ist dem Geschäftsführer der Klägerin ein Verstoß gegen § 3 Abs. 1 StVO vorzuwerfen, weil er mit unangepasster Geschwindigkeit in den Kreuzungsbereich einfuhr. Die von der Berufung aufgeworfene Frage, ob eine Verletzung der Höchstgeschwindigkeit vorgelegen habe, kann dahingestellt bleiben. Die Zeugen haben zwar die Geschwindigkeit mit 80-90 km/h (Bl. 74. d. A.) und „höher als 50 km/h“ (Bl. 75 d. A.) angegeben. Allerdings ist Schätzungen dieser Art wenig Beweiswert zuzumessen (vgl. Hentschel, Straßenverkehrsrecht, 39. Aufl., § 3 StVO, Rn. 63). Entscheidend ist aber, dass sich die erlaubte Geschwindigkeit durch eine unklare Verkehrslage reduzieren kann. Eine solche unklare Verkehrslage lag hier vor. Dieser hat der Geschäftsführer der Klägerin mit seiner riskanten Fahrweise nicht Rechnung getragen, da er mit einer nicht angepassten Geschwindigkeit in einer unübersichtlichen Kreuzungssituation einen Überholvorgang durchführte. Der Feststellung einer Überschreitung der allgemein geltenden Höchstgeschwindigkeit bedarf es nicht.

Ein Verkehrsverstoß des Erblassers steht dagegen nicht fest. Insbesondere liegt kein Verstoß gegen § 8 und/oder § 9 Abs. 3 StVO vor. Nach dem Ergebnis der Beweisaufnahme befand sich der Erblasser zwar bereits im Kreuzungsbereich, aber noch auf seiner Linksabbiegespur, mithin noch nicht auf der Gegenfahrspur. Der Zeuge Frank G. hat angegeben, der Fahrer habe zur Zeit des Unfalls noch auf der Abbiegespur gestanden (Bl. 73 d. A.). Die Zeugin G. hat angegeben: „Er (Erblasser) war also nach vorne gefahren mit allen vier Reifen über die Begrenzung nach vorne hin weg. Nach links eingeschlagen hatte er, glaube ich, noch nicht so viel.“ Das bedeutet, dass der Fahrer auf der Linksabbiegespur die durchgezogene Linie (vgl. S. 12 BA, Lichtbild oben) überfahren hatte, sich aber noch auf der Linksabbiegespur befand. So hat sich ausweislich der Strafakte (51 Ds 571Js 18418/14 AG Eckernförde) auch der nicht durch das Gericht vernommene K. (Bl. 41 BA) geäußert: „Der Fahrer, der aus Richtung Kappeln kam und nach links in die Ostlandstraße abbiegen wollte, stand schon auf der Abbiegespur“. Damit steht nicht fest, dass der Erblasser bereits auf die Spur der Gegenfahrbahn gelangt war. Dass er überhaupt in den Kreuzungsbereich eingefahren ist, begründet keinen Verkehrsverstoß. Der Unfall erklärt sich zwanglos damit, dass der Geschäftsführer der Klägerin verbotswidrig (teilweise) die Linksabbiegespur nutzte und deshalb mit dem – offensichtlich übersehenen – entgegenkommenden Erblasser kollidierte.

Die Betriebsgefahr des Beklagtenfahrzeugs tritt gegenüber dem erheblichen Verkehrsverstoß des Geschäftsführers der Klägerin, der im Übrigen aufgrund des streitgegenständlichen Unfalls wegen vorsätzlicher Straßenverkehrsgefährdung verurteilt wurde, zurück.

Die Tatsachenfeststellung des Landgerichts verstößt nicht gegen den Grundsatz der Waffengleichheit. Denn der Geschäftsführer der Klägerin hat sich zum Unfall nicht äußern wollen. Die Gelegenheit zur Äußerung als Beschuldigter gegenüber der Polizei nahm er nicht wahr (vgl. Bl. 19 f. BA) und die Anordnung seines persönlichen Erscheinens durch das Landgericht hat er nicht befolgt.

Die Nebenentscheidungen folgen aus §§ 97 Abs. 1, 708 Nr. 10 und 713 ZPO.

 

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